Genauso turbulent wie die Jahre 2020 und 2021 hat sich nun auch das Jahr 2022 entwickelt. Während alle Welt Ende 2021 noch optimistisch in die Zukunft blickte und einen wirtschaftlichen Aufschwung nach der Covid-Krise sah, wurde dieser Optimismus schnell zunichte gemacht, als Russland in die Ukraine einmarschierte und dort einen Krieg begann. Welche Folgen hatte das für Investoren und Kreditnehmer, und was können wir in der zweiten Jahreshälfte erwarten? Diesen Fragen gehen wir in diesem Artikel auf die Spur.

Wirtschaftliche Lage in der ersten Jahreshälfte 2022
Trotz globalen Lieferengpässen, steigenden Rohstoff- und Energiepreisen gab man sich zu Jahresanfang noch sehr optimistisch. Die steigende Inflation wurde als temporäres Phänomen abgetan, welches spätestens zum Jahresende 2022 wieder vorüber sein würde und die Preise dann wieder sinken würden.
Ukrainekrieg stellt alles auf den Kopf
Im März kam dann der grosse Schock: Russland fiel in die Ukraine ein und entfachte dort einen Krieg. Weltweit stürzten die Märkte ab, einzig die Preise für Öl, Gas und später auch Lebensmittel (insbesondere Weizen) explodierten weiter.
Der Krieg trieb nicht nur die Inflation weiter an, sondern brachte auch eine grosse Ungewissheit mit sich: Wird es ein Öl- und Gasembargo gegen Russland geben und wenn ja, wie wirkt sich das auf die westlichen Industriestaaten aus, die einen hohen Teil ihrer fossilen Energieträger aus Russland beziehen?
Leitzinserhöhung von mehreren Zentralbanken
Zeitgleich hoben im März die Bank of England und im Mai die Fed in den USA ihren Leitzins an, um der hohen Inflation entgegenzuwirken. Dies dämpfte die Investitionsfreude von Unternehmen und liess die Kurse an der Börse weiter in die Tiefe rauschen.
Die Schweizer Nationalbank sowie die Europäische Zentralbank haben bis dato ihren Leitzins noch nicht erhöht, stehen aber unter massivem Druck, der Inflation ebenfalls entgegenzuwirken.
Auswirkungen für Investoren
Investoren sahen sich in der ersten Jahreshälfte zum Teil grossen Verlusten ausgesetzt und betrieben Schadensbegrenzung durch eine schnelle Umschichtung in ihren Portfolios. Aktien von Rüstungsunternehmen standen hoch im Kurs, genauso wie Wertpapiere von Unternehmen, die in der Energiebranche tätig sind.
Lebensmittelspekulationen und Krypto-Crash
Wer schon im Februar auf den Weizenpreis spekuliert hatte, hatte Mitte Mai einen Zuwachs von 100%, da sich der Preis innerhalb von drei Monaten verdoppelte. Wie so oft: Was für die einen hohe Verluste bedeutete, bedeutete für andere das Geschäft ihres Lebens.
Eine weitere interessante Entwicklung liess sich seit Kriegsausbruch bis heute ebenfalls beobachten: Kryptowährungen, denen von Befürwortern bisher immer nachgesagt wurde, dass sie ähnlich wie Gold Krisenwährungen und von der Inflation entkoppelt seien, folgten ebenfalls dem allgemeinen Markttrend – abwärts.
Grosse Unsicherheiten in Hinblick auf zukünftige Investitionen
Aufgrund der steigenden Inflation und dem Zinsdruck halten sich nun viele Unternehmen mit Investitionen zurück, was dazu führt, dass auch Anleger verhaltener agieren. Viele fokussieren sich derzeit auf schnelle Gewinnmitnahmen an einem sehr volatilen Markt.
Die konservativeren Anleger, die ihr Portfolio mehr auf eine langfristige Aufwärtsentwicklung eingerichtet haben, sehen sich sehr unsicheren Zeiten gegenüber, da es momentan schwierig ist, abzuschätzen, in welchem Bereich sich Investitionen auch langfristig lohnen.
Auswirkungen für Kreditnehmer
Unternehmen, die schon vor der Corona-Pandemie einen Kredit aufgenommen haben, hatten schon während der Krise zum Teil sehr grosse Probleme, ihre Raten weiter bedienen zu können, da weltweit die Wirtschaft nur noch auf Sparflamme lief.
Durch Rettungsprogramme seitens der Regierungen konnten sich viele Unternehmen über Wasser halten. Und jene, die schon im Jahr 2021 volle Auftragsbücher hatten, schauten sehr optimistisch auf das Jahr 2022.
Steigende Inflation und Zinserhöhungen dämpfen Investitionsfreude
Durch die steigenden Energie- und Rohstoffpreise ist der Optimismus jedoch schnell verflogen. Wer noch 2021 einen Kredit aufgenommen hat für kommende Investitionen, sieht sich nun ebenfalls unsicheren Zeiten gegenüber. Investitionen werden vielerorts nach hinten geschoben aus mehreren Gründen:
- Steigende Zinsen bedeuten für Kreditnehmer teurere Kredite
- Steigende Rohstoff- und Energiepreise belasten die Ausgaben zusätzlich, was letztendlich nur durch Preisanpassungen korrigiert werden kann
- Stockender Konsum aufgrund der hohen Inflation führt zu weniger Einnahmen durch Verkäufe, weil die Nachfrage zurückgeht
Die Aufnahme eines Kredits wird also zu einer Entscheidung mit hoher Tragweite, deren Ausgang nicht immer gewiss ist. Deswegen konzentrieren sich auch Kreditnehmer auf Schadensbegrenzung und schieben Investitionsprojekte, die nicht absolut notwendig sind, erst einmal auf die lange Bank.
Wie geht es weiter?
Die beiden zentralen Fragen, die sich Schweizer Anleger und Kreditnehmer stellen sind folgende:
- Welche Auswirkungen wird ein Öl- und Gasembargo gegen Russland haben, falls die westliche Gemeinschaft zu diesem äussersten Mittel greift?
- Welche Auswirkungen wird eine Zinserhöhung der EZB haben?
Leitzinserhöhung der EZB im Sommer 2022 erwartet
Beide obigen Punkte zusammen werden sowohl für Investoren als auch für Kreditnehmer entscheidend sein, ihr Portfolio bzw. ihre Unternehmensstrategie auszurichten. Während sich die EZB nun monatelang gegen Zinserhöhungen gesträubt hat, werden von dort mittlerweile andere Signale gesendet: Eine Zinserhöhung im Juli 2022 gilt als sehr wahrscheinlich.
Die Schweizer Nationalbank fährt bezüglich Zinserhöhungen immer im Windschatten der EZB, um den Wechselkurs zwischen Euro und Franken stabil zu halten. Erhöht die EZB also ihren Leitzins, kann man davon ausgehen, dass die Schweiz bald nachziehen wird.
Grosse Herausforderungen für Investoren und Kreditnehmer
Für Investoren und Kreditnehmer bedeutet das eine weiterhin gedämpfte Stimmung. Da hohe Zinsen für Unternehmen in wirtschaftlich ohnehin schon sehr unsicheren Zeiten ein noch höheres Risiko bedeuten, wird auch verhaltener investiert werden.
Banken werden die Unternehmen noch strenger prüfen, um das Ausfallrisiko so gering wie möglich zu halten. Investoren müssen sich darauf einstellen, dass sie bei steigenden Zinsen weniger Rendite erwirtschaften werden, da die Unternehmen ihre Gewinnziele nach unten anpassen werden.
Kreditnehmer sollten sich nun überlegen, ob sie ihre bisherigen Kredite umschulden und sich noch einen günstigeren Zins sichern. Das senkt das Risiko, dass für bestehende Kredite die Zinsen angepasst werden, wenn die Zinsbindung ausläuft.
Investoren, die nicht am derzeit sehr volatilen Weltmarkt spekulieren möchten, um Gewinne zu erzielen, sollten sich nach weniger riskanten Investitionsmöglichkeiten umschauen. Wer das Risiko an der Börse senken möchte, kann einen Teil seines Kapitals beispielsweise im Rahmen von Crowdlending investieren und somit sein Portfolio weiter diversifizieren. Dies ist zwar kein Garant für zukünftige Gewinne, jedoch der beste Rat, den wir Ihnen in diesen sehr unsicheren Zeiten geben können.